Weg zu einer besseren Begründung und das Ergebnis
Bisherige Begründung
Mit der kleinen Biografie von Paul Tarnow im "Düsseldorfer Jahrbuch" von 2015 wurde schon einmal eine größere Überzeugungskraft angestrebt und erreicht. Sie bezog
sich darauf, den Lebenslauf als Verständnishilfe für Eigen-schaften und Handlungen von ihm zu nutzen. Aus seinem Charakter und seinen Einstellungen heraus erscheinen gewisse Verhaltensweise von
ihm plausibel, auch wenn man nicht den letzten Beweis durch Fakten finden kann. Im Einzelnen gehörten zu seinen Eigenschaften ein gewisses Selbstbewusstsein, der Hang, Entscheidungen mit-tragen
zu wollen, Pragmatismus und Durchsetzungsfähigkeit. Seine Einstellungen waren die, Toleranz zu üben und Kommunikation und Freiheit hoch zu werten. Dies lässt sich aus seinem Lebenslauf
erschließen. Das Thema "Esperanto" blieb immer nur ein Hilfsmittel, um zu zeigen, was seine Verhaltensweisen und Wertvorstellungen geprägt hat. Seine
Zivilcourage, die nicht aus aus seiner charakterlichen Entwicklung hergeleitet werden kann, ist der Kern der bisherigen und der neuen Begründung.
Die Schwäche der Begründung liegt in dem Bezug auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit. Die zeitgeschicht-liche Dimension gerät damit zu sehr in den Hintergrund.
"Informationsgefälle"
Um seine Zivilcourage zu verstehen, muss erkannt werden, dass hier kein skurriler Idealist handelte. Auch bei wohlwollenden Außenstehenden fehlen für ein Verständnis
für Paul Tarnows Handeln entsprechende Hintergrund-informationen. Diese entstammen der Kenntnis vom Selbstverständnis der Esperantobewegung und konkret de-ren Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus.
Paul Tarnow - damalige weltumfassende Bewegungen und heutige "Eine-Welt-Bewegung"
Die entdeckten Grundlagen von Paul Tarnow als Esperantist (s. "Grundlagen zur
Beantwortung") zeigen, welche Rolle in einer damaligen weltumfassenden Bewegung spielte. Von TeilnehmerInnen der heutigen "Eine-Welt-Bewegung" kann sein Handeln als Teil ihrer Vorgeschichte
verstanden werden.
Verbesserte Begründung für eilige Leser!
- Für Paul Tarnow war tolerant (--> akzeptierte verschiedene Weltsprachen - im Gegensatz zu den meisten anderen Esperantisten).
- Er war demokratisch eingestellt (--> gehörte im Studium keiner Verbindung an, und wandte sich an gleich eingestellte Studenten, um eine Esperantovereinigung zu gründen; ging nicht in die NSDAP und ertrug die daran festgemachte Ablehnung aus seinem Umfeld).
- Er setzte auf Friedfertigkeit und Verständigung, wie sich in seinem Äußern und Verhalten unter Esperantisten zeigte und was er als grundlegend gegenüber der Gestapo darstellte. Pazifist war er vermutlich nicht (--> Aufnahme der Arbeit bei der Kaiserliche Werft der Kriegsmarine kurz vor dem 1. Weltkrieg).
- Er zeichnete sich durch die Eigenschaften "Mut" und "Zivilcourage" aus, ohne welche er die Auseinandersetzungen im Nationalsozialismus aufgegeben hätte. Diese
zeigte er auch nachdem er laut einem Zeitzeugen "ängstlich und abgemagert" aus der Gestapohaft kam.
In den "Grundlagen..." wurde dargelegt, dass Esperanto - nach der UEA - ein Mittel zum Zweck der besseren Kommunikation
und Verständigung auf der Erde darstellen sollte. Die Neutralität als Mittel der Toleranz verlor gegenüber dem Nationalsozialismus seine ihr positiv
zugedachte Rolle und hatte negative Folgen. Dies wurde gegen Ende des Krieges nicht nur von der UEA sondern auch von Paul Tarnow erkannt, etwa indem er einen aus einem KZ zurückgekehrten
Bekannten als "engen Freund" in einem Brief nannte. (Es ist anzunehmen, dass dieser ihm die Verhältnisse in Konzentrationslagern etwa ein Jahr vor Kriegsende schilderte.)
Die "Grundlagen ..." machen auch anhand des Wissens und der Maßnahmen der UEA deutlich, dass der angestrebte Massenmord an den Jüdinnen und Juden nach dem
Kriegsbeginn früh Gewissheit war und Andeutungen im Schriftverkehr konspirativ waren und nicht naive Fortführungen von Sammelleidenschaften.
Deutlichere und erweiterte Begründung (ausführlicher)
Die bisherige Beschreibung der Person von Paul Tarnow, um das Besondere seines zivilcouragierten Handelns herauszustellen, wird jetzt ergänzt, durch die Beschreibung des sozialen und organisatorischen Rahmens, der ihn bestimmte und prägte. Sein in gewisser Weise trotziges Verhalten, weiter zu sammeln, sich der Gestapo zu stel-len und nicht in die NSDAP einzutreten, erweist sich als nicht nur hoch-individualistisch motiviert.
Die Konspiration in der "UEA" und der "Deutschen Esperanto-Gesellschaft" ist im Vortext ("Grundlagen zur Beantwortung") erläutert worden. Dort ist das Miteinander, das dem Konspirieren prinzipiell vorausgeht und es begleitet, beschrieben. Es entspringt grundsätzlich geteilten Normen, Werten und/oder gemeinsamem Handeln. Diese sollen - einem ablehnenden bzw. bedrohenden oder bedrohten Umfeld zum Trotz - beraten, bewahrt oder durchgesetzt werden.
Die "Universala Esperanto Asocio" bot den Rahmen für in großem Maße geteilte Werte: Toleranz, Friedfertigkeit, Verständigung im Sinne von Kommunikation und
Kompromissfindung. Wie im Vortext sichtbar, war die Esperanto-bewegung - erst einmal bezogen auf die "UEA" - keine Menge von Begeisterten mit schwammigen bzw. wech-selnden Perspektiven. Das hing
auch damit zusammen, dass sie eine von verschiedenen Ansätzen war, die ent-standen waren, um der ersten großen Globalisierung mit ihren Chancen und ihren gefährlichen Seiten vor dem 1. Weltkrieg
Rechnung zu tragen.
Zielstrebig und planmäßig ging man vor, wie an den Beispielen der Festlegung und des Aufbaus Arbeitsfelder der UEA und dem Hilfssystem im Ersten Weltkrieg zu sehen ist. Es ist anzunehmen, dass die Vorgehensweise in den fünf einzelnen Fällen im Untermenü "Konspirativ?" (1. Rundschreiben zur Hilfe für die Familie Zamenhof, 2. Ret-tungsversuch durch eine litauische Staatsbürgerschaft, 3. Fluchthilfeangebote in Warschau, 4. Jakobs eigene Er-fahrung mit Konspiration) dem vorher entstandenen Muster der "UEA" folgte.
Die überraschend guten Kenntnisse, die im Rundschreiben von 1939 über die katastrophale Situation in Zentral-polen zu finden sind, können auf die schon bestehenden
Kontakte zu dem "Internationalen Roten Kreuz" zurück-zuführen sein. (Diesem wurde nach dem Krieg vorgeworfen, seine Kenntnis des Massenmords nicht publik ge-macht zu haben.)
Auch eine gegenseitiger Unterstützung gemeinsamer Interessen mit dem "Völkerbund" war zeitweise festzustellen (Stichwort: "Internationalen Arbeitsorganisation").
Es ist wahrscheinlich, dass Paul Tarnow das systematische Handeln als typische Vorgehensweise der "UEA" ent-gegenkam. Sein Brief an die Gestapo vom April 1940 ist nicht nur ein Bekenntnis zu den Werten der sog. System-zeit der Weimarer Republik, sondern entspricht auch denen der Esperanto-Weltorganisation. Diese Deckungs-gleichheit dürfte für ihn und viele andere deutsche EsperantosprecherInnen selbstverständlich gewesen sein.
Auch für die Konspiration im nationalen und lokalen Rahmen gibt es durch die Gestapoakte von Wilhelm Acker-mann in Hinblick auf ihn und Paul Tarnow Belege. Diese ist auch an anderen Beispielen im Buch "Die gefährliche Sprache. Die Verfolgung der Esperantisten unter Hitler und Stalin" von Ulrich Lins nachgewiesen worden.
Der im Brief von Johann Schmidt an Ulrich Lins Anfang 1967 erwähnte Einsatz für rassisch Verfolgte lässt sich noch nicht überprüfen. Die Überprüfung muss nachgeholt werden, wenn die Briefe von Paul Tarnow an Johann Schmidt in der Bayrischen Staatsbibliothek vorliegen. - Erst einmal kann dieser Aspekt nicht in dieser Begründung berücksichtigt werden.
Hier ist der Punkt erreicht, der in dem Untermenüpunkt "Wie lässt sich historisch-biografisch urteilen?" als letzter genannt ist: Der gegebenen Sachanalyse muss die
historischer Bewertung folgen.
Guckt man von der "Straßenumbenennung in Düsseldorf" aus, gehört Paul Tarnow zu den Personen, die dafür vorgeschlagen wurden. Er gehört auch zu dem engeren Kreis, der in dem Umbenennungsverfahren, das in die-sem Jahr 2023 akut wurde, eine direkte Alternative zu den Kolonialisten und Unterstützern des Nationalsozialis-mus bildeten (auch wenn die Gesamtzahl der vorgeschlagenen Ersatznamen mehrere Hundert betrug).
Die 10 Namensträgers, die vom Beirat in seinem Abschlussbericht zur Umbenennung vorgeschlagen wurden, stehen ihm durch die Opposition zum Nationalsozialismus nahe. Im Anhörungsverfahren (Frühling/Frühsommer 2023) fanden wenige direkten Alternativen zu Kolonialisten als Vorschläge in den Bezirksvertretungen eine Mehr-heit in den nicht repräsentativen, von wenigen besuchten Abstimmungen.
Als Ziel, wofür Paul Tarnow stand, kann man die Völkerverständigung durch die Kommunikation Einzelner mitein-ander erkennen. Da dies außerdem in Ablehnung des Nationalsozialismus vertreten wurde, wäre er damit theore-tisch als Alternative sowohl zu Namen von Kolonialisten als auch von Unterstützern des Nationalsozialismus in Frage gekommen. Der gedankliche Anschluss an die Vorstellungen der "Eine-Welt-Bewegung" und der "Men-schenrechtsbewegung" liegt eigentlich nahe.
Sicher ist jedem unbenommen, Namensvorschläge außerhalb der Thematiken "Eine Welt" und "Menschenrechte" für die Straßenbenennung zu machen. Auch dagegen, Straßen nach anderen Themengebieten als Personen zu benennen, kann man nicht grundsätzlich etwas haben.
Lässt man sich jedoch auf die beiden Thematiken ein, ist eine Straßenbenennung nach Paul Tarnow geeignet.
Es gibt nicht wenige Bürgerinnen und Bürger Düsseldorfs, die sich den aktuellen Herausforderungen in diesen beiden Bereiche stellen. Mit Paul Tarnow haben sie einen
Bezugspunkt. Seine Verwurzelung in der weltweiten, aufblühenden Esperantobewegung vor hundert Jahren - mit ihrer
Festlegung auf eine weltweite Hilfssprache - erfordert zugegebenermaßen einiges Nachdenken, um seine persönliche Weise, sie anzuwenden, zu erkennen.