Konspirativ in der Esperantobewegung?

 

 

A. Ein Problem bei konspirativem Handeln

Wenn ein Handeln konspirativ ist, sieht man es ihm im Erfolgsfall nicht an. Im Nachhinein erfährt man nur von ihm im Fall der Entdeckung oder nachträglichen Preisgabe. Doch durch den Tod von Paul Tarnow noch zu Zeiten der nationalsozialistischen Diktatur konnte er nach Kriegsende nichts mehr mitteilen. Die Information durch andere war spärlich und teils nur angedeutet. So steht bei ihm - wenn keine Analogieschlüsse bzw. kein Hintergrundwissen hinzugenommen werden können - die Entscheidung offen, ob da etwas Verborgenes stattfand oder nichts.

Im den folgenden Punkten B. bis D. wird das jeweilige Entscheidungsdilemma dargestellt, dann unter "Grundlagen zur Beantwortung" das Hintergrundwissen aufgeführt, um zum Schluss unter "deutlichere und erweiterte Begründung" diese zu untermauern.

 

B. Eigene Argumentationsnöte

Briefkontakt: Privater Natur oder mehr?

Als ich Mitte der 2010er Jahre in einem Brief von Hans Jakob, langjährige Vorsitzende des Esperanto-Weltbundes (UEA), an Paul Tarnow las.:

"S a m e n h o f: ich stehe jetzt in regelmäßiger Verbindung mit Frl. Lidia Samenhof, deren Adresse jetzt lautet: Ogrodowa 3-17, Warschau. Vielleicht fragen Sie mal direkt an, was aus den Sammlungen ihres Vaters geworden ist, vielleicht ist es möglich, noch manches zu retten."

war ich wegen der anscheidenden Oberflächlichkeit und Selbstbezogenheit dieser Bemerkungen irritiert.

Meine jüngste Vermutung, dass es im 2. Satz eigentlich um die Rettung der Leben der Familie Zamenhof geht und "Sammlungen ihres Vaters" nur eine Chiffre ist, für die ich mich entschied, stieß bei jemand anderem auf Widerspruch, der die Quelle wortwörtlich zu nehmen.

 

C. Vergebliche Klärungsversuche (1.-4.)

 

1. Appell in "Esperantist Interaid " vom 05.12.1939 zur Beschaffung des Lebensnotwendigsten und von Geld für die Familie Zamenhof

Auch als ich auf den aufwühlenden Appell zur Hilfe in der folgenden Quelle hinwies, konnte ich nicht überzeugen, da es dem Wortlaut nach um eine Lebensmittel- und Geldsammlung für die Versorgung der Familie Zamenhof ging.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Hilfe unter Esperantisten“

U.E.A. Service

Palais Wilson --- Genf --- Schweiz.

Jahr: 1939                                                 Genf, den 5. Dezember 1939                                   Zamenhof-Familie

Rundbrief 25                                                                                                                              Unterstützungsfond

                                                               An die Esperantisten aller Länder,

Die Nachrichten von der Eroberung Warschaus und was daraus folgte, war für viele Esperantisten aus mehr als einem Grund herzzerreißend: in dieser Stadt lebt die Familie von Dr. Zamenhof.

Warschau, die Hauptstadt von Polen, in der vor zwei Jahren der Esperanto-Jubläumskongress stattfand, ist heute eine Ansammlung von Ruinen. Seine auseinandergetriebene Bevölkerung ist erfüllt von Verzweiflung und leidet körperlich und geistig. Sollen wir gleichgültig sein gegenüber ihrem Schrei nach Hilfe? Sicherlich nicht. Aber da es unsere Mittel übersteigt, all diesen Leidenden zu helfen, können wir zumindest unsere heilige Pflicht gegenüber DER FAMILIE ZAMENHOF erfüllen.

Die Nachrichten, die bezüglich des Jüdischen Reservats hereinkommen, das in Zentralpolen eingerichtet wurde, sind haarsträubend. Zusammen mit den „Rassegesetzen“ zielen diese auf die sichere Auslöschung der gesamten jüdischen Bevölkerung.

Wir erhalten von allen Seiten Erkundigungen voll berührender Sorge um die Zamenhof-Familie. Wir hören auch, dass ein Freund im Süden von Frankreich von der Französischen Regierung die Erlaubnis bekommen hat, bei sich zu Hause Fräulein Lidia Zamenhof aufzunehmen. Was können wir machen, um den Rest der Familie zu retten – fünf Personen – die andernfalls wahrscheinlich umkommen werden, wie es sicherlich der größte Teil der polnischen Juden tun wird.

Unser Dienst hat bereits Schritte zu der vorgenommenen Unterstützung gemacht. Diese Hilfe kann nur von uns Esperantisten kommen, ohne jedwede Unterscheidung. So wie wir unseren Freunden im letzten Jahr geholfen haben, so richten wir jetzt einen

HILFSFOND FÜR DIE ZAMENHOF-FAMILIE

ein. Dieser Fond soll gebraucht werden, um den Zamenhofs das Lebensnotwendigste zuzuleiten, später vielleicht sogar Geld, wenn dies vielleicht möglich wird. Jeder Beitrag zu dem Fond ist willkommen, ABER WIR MÜSSEN UNS BEEILEN!

Das Management der U.E.A. und die anderen Unterzeichner dieses Appells rufen Sie dringend auf, sich an dieser Hilfe auf jede mögliche Weise zu beteiligen. Wir wenden uns an Sie und beschwören Sie um HILFE. Die „Hilfe unter Esperantisten“ wird zusammen mit dem Management der U.E.A. sehen, dass die Hilfe in Übereinstimmung mit den Prinzipien von vergleichbarer Unterstützung für die polnische Bevölkerung geleistet wird. Die Esperanto-Welt wird über die Ergebnisse auf dem Laufenden gehalten über das Periodikum „Esperanto“ und andere Esperanto-Publikationen werden freundlich gebeten, die Mitteilungen nachzudrucken.

Alle Hilfe wird ohne Anrechnung der Kosten für die Verwaltungsarbeit zuteil gelassen, um die größtmögliche Unterstützung sicherzustellen. HELFEN SIE SCHNELL UND GROẞZÜGIG!

Mit den freundlichsten Grüßen

Das Management der U.E. A.:

K. M. Liniger, Renaud Richez, H. H. Kürsteiner, Ch. Rosen, Hans Jakob

Zustimmung und Unterstützung:

Dr. Ed. Privat, Ed. Stettler, Jakob Schmid, Prof. P. Bovet, Jean Borel

 

2. Ein weiterer Hilfsversuch für die Familie Zamenhof seitens Hans Jakob von der UEA

Parallel dazu versuchte Hans Jakob im Namen der UEA herauszufinden, ob der Erwerb einer litauischen Staatsangehörigkeit sich für die Zamenhofs arangieren ließe, aber auch diese kleine Hoffnung erfüllte sich nicht, nachdem im Sommer 1940 Litauen von der Sowjetunion annektiert wurde.
https://mondmilito.hypotheses.org/4243

 

3. Angebote der Fluchthilfe von polnischen EsperantistInnen (und einem deutschen Soldaten)

Weitere Versuche, die Zamenhofs zu retten, wurden in Polen unternommen. Unwahrscheinlich ist, dass diese der Weltorganisation UEA bekannt waren, geschweige von dort initiiert wurden. Die Versuche sprechen eher dafür, wie dankbar und verpflichtet die EsperantistInnen sich überall gegenüber der Familie Zamenhof fühlten, ohne dazu eine Ermahnung zu benötigen:

"Ihr wurde die Gelegenheit zu Flucht sowohl von polnischen EsperantistInnen als auch von einem deutschen Soldaten, der der Bahá'í-Religionsgemeinschaft angehörte, angeboten, aber sie weigerte sich, um andere nicht zu gefährden.

https://blogs.bl.uk/european/2017/01/lidia-zamenhof-a-cosmopolitan-woman-and-victim-of-the-holocaust.html

(Lidia und Ihre Schwester Zofia wurden 1942 in Treblinka ermordet, ihr Bruder Adam bei einer Geisel-erschießung Anfang 1940 in Warschau. So wurden alle Kinder von Ludwik L. Zamenhof und seiner Frau Opfer des rassistischen Fanatismus des Naziregimes.)

 

 

4. Erfahrung von Konspiration aus der Lage des Arbeitsorts in Genf

Eine Erfahrung von Konspiration ist einem Brief von Hans Jakob aus dem März 1965 zu entnehmen. Auch wenn man in Genf nicht direkt bedroht war, so war er doch Anlaufstelle für Verfolgte, die geflüchtet waren.:

"Rogister war ... während des 2. Weltkriegs "passeur", d.h. er führte eine Schar Verfolgter über unbekannte Wege aus Frankreich nach Genf; Verfolgte, die ... sich bei mir meldeten. Eine sehr gefährliche Angelegenheit, aber die Einwohner von Collonges sous Salève [jenseits der Schweizer Grenze, ca. 6 km südlich von Jakobs Arbeitsstelle] verrieten ihn nicht an die Gestapo."

https://eo.wikipedia.org/wiki/Hans_Jakob#/media/Dosiero:1965_Letero_de_Hans_Jakob.jpeg

 

D. Lösung durch Rückgriff auf die Geschichte von Institutionen als prägende Größen

Obwohl die oberen vier Punkte zusammengenommen, vermuten lassen, es ginge nicht nur um Profite für die Sprache, so bleiben sie doch einzelne Beispiele.

In dem hier verlinkten Abschnitt werden nun wichtige Aspekte der Geschichte der UEA beschrieben, um die Beispiele als die Verwirklichung von Grundprinzipien darzustellen.

1. Hintergrundwissen zur "UEA"

 

Folgender Link schildert seine Aktivität neben der internationalen Vereinigung "UEA" in der nationalen "Deutschen Esperanto-Gesellschaft" und seine Kontakte vor Ort über das Verbot hinaus

2. Hintergrundwissen zur Bemühung, die "Deutsche Esperanto-Gesellschaft" zu erhalten, und zum Umgang mit ihrem Verbot