Grundlagen zur Beantwortung

 

zwei Links von der Seite "Konspirativ?":

 

 

(In diesen Links wird die verbesserte Begründung vorbereitet. Nach dem Durchlesen geht es weiter bei: "Deutlichere und erweiterte Begründung")

 

Es gibt zwei Argumentationsstränge, die sowohl bezüglich der "UEA" als auch der "Deutschen Esperanto-Gesellschaft" benutzt werden:

A) Darstellung der Verhaltens- und Denkweisen innerhalb der jeweiligen Institution

B) Darstellung, wie Paul Tarnow diese Arten übernommen und z.T. auch für sich angepasst hat

 

Ziel ist eine damalige reale Bedrohungslage für Paul Tarnow darzustellen und seine Bereitschaft, sich dieser bedrohlichen Situation - auch wenn er die Gefahr zu minimieren versuchte - zu stellen.

 

 

1. Link: Hintergrundwissen zur UEA

 

Die Esperantobewegung und speziell die "Universala Esperanto Asocio" (UEA) waren das, was Hans Jakob ab dem Alter von 17 Jahren und Paul Tarnow ab dem Alter von 27 Jahren seit 1908 bis zu Beginn des 2. Weltkriegs geprägt hat.

 

Foto von Hans Jakob, vermutlich aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

 

 Hans Jakob (1891-1967) wurde noch in Heidelberg ab 1909 Mitglied und Delegierter der UEA, zog 1912 an den Sitz des Weltbundes und war ab 1920 sein Geschäftsführer. Briefwechsel von Paul Tarnow mit ihm 1940 und ein Brief von P.T. aus dem Jahre 1944 sind überliefert. Da Paul Tarnow an der Gründung der UEA 1908 teilnahm, dann drei Jahre lang und ab 1928 Delegierter der UEA war und beide oft auf die von der UEA organisierten Esperanto-Weltkongresse gingen, kann man davon ausgehen, dass sie sich lange kannten.

 

Die Besonderheiten der UEA

Die UEA wurde 1908 von dem Schweizer Hector Hodler in Genf gegründet, um den einzelnen Espe-ranto-SprecherInnen einen direkten Kontakt untereinander - zugespitzt formuliert: als Weltbürger-Innen - zu ermöglichen. Dies sollte eine Ergänzung sein zu den nationalen Esperanto-Verbänden, durch die die Kommunikation per Esperanto - ebenso zugespitzt: als Mitglied einer Nation - stattfand. Für die UEA spielte die Verschwisterung aller Menschen und ein Frieden, der durch das gegenseitige, vorurteilsfreie, direkte Verständigen über Landesgrenzen hinweg gefestigt wird, eine große Rolle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nach Wunschdenken entworfenes Bild, in dem offensichtliche Vertreter verschiedener Völker - um einen Konferenztisch sitzend - in Unterhaltungen zu zweit vertieft sind

 

 

 

 

Ghandi im Gespräch mit dem Ehepaar Privat auf einer Schiffsreise nach Indien 1932 (Edmond Privat war Mitbegründer der UEA, von 1924 bis 1928 sein Vorsitzender und mit Ghandi und Romain Roland vernetzter Friedensbewegter.)

 Auch weil die Kernthemen (Völkerfreundschaft und Frieden) durch den Eintritt in den ersten Weltkrieg massiv abgeblockt wurden (und auch nicht unter allen Esperantosprechern Zuspruch fanden), hat sich "Esperanto nicht durchgesetzt".

 

Jedenfalls war Esperanto nicht nur Konkurrenzsprache zu den großen Nationalsprachen, sondern  unterstützte Themen, die das internationale Leben betraf.

[Die Gründung in Genf, im "Internationalen Genf" (so ein mittlerweile gängiger Begriff), sollte für die "UEA" von Vorteil sein, wie sich unten zeigen wird.]

  

"Praktisches Handeln wurde der Kampfruf der damaligen UEA." schrieb Jakob in seinen Erinne-rungen und führt auch Ulrich Lins in seinem Buch "Aliĝo estas utila." ("Eine Aufnahme ist nützlich".) aus. Das sollte bedeuten, sowohl die Sprache zu begünstigen als auch zu nutzen. Der hauptsäch-liche Service war und ist heute noch der Informationsdienst, erfüllt von jeweiligen Delegierten vor Ort. Anfangs wurden die Delegierten aus mehreren KandidatInnen (meist Männern) sorgsam ausgesucht und nach den Erfahrungen der ersten Jahre ein Regelwerk für die einzelnen Service-

und Hilfsangebote erstellt. Die auf weltweit Verbreitung ausgelegte Zeitschrift "Esperanto" der UEA enthielt Grundsatzartikel von Hector Hodler - auch zur Rolle der Organisation bei der Bildung einer Weltgemeinschaft.

 

Jakob stellt in seinen Erinnerungen die Gründungsphase der UEA und dessen langsame Verständi-gung mit der Vereinigung der nationalen Esperanto-Verbände, als schwierigen Prozess über Jahr-zehnte dar. In diesem seien unterschiedlichste Charaktere und Temperamente aufeinandergestoßen und Konfliktaustragungen seien nicht immer fair verlaufen.

 

Organisationskongress der UEA 1910 in Augsburg

Auf einem Organisationskongress der UEA, zu der weltweit eingeladen wurde und der 1910 in Augsburg stattfand, gab es 10 Arbeitskreise, die die interne Organisation behandelten, ca. 15, die Arbeitsfelder mit direkter Außenwirkung betrafen - z. B. Handel, Tourismus, Adressensammlung, internationale Zusammenkünfte, Reisen, Arbeiterschaft, Jugend und StudentInnen und eine Kalen-derreform. (Schon der Schöpfer der Sprache, Ludwig Lazarus Zamenhof, hatte schon 1890 ein Regelwerk für eine Weltorganisation der internationalen Sprache in der Zeitschrift "La Esperantisto" vorgestellt. - Dieses planvolle Vorgehen zeigt, dass es nicht nur um die Werbung für Esperanto durch öffentliches Schwärmen darüber ging.)

Als Sprache der UEA wurde in Augsburg - besonders in Abgrenzung zu dem kurz vorher entworfenen Ido - Esperanto festgelegt.

Paul Tarnow hatte eine differenziertere Haltung zu den anderen Weltsprachen: Er schilderte 1944, dass er sich 1910 in Augsburg entschieden hatte, ein Weltsprachenarchiv für alle Weltsprachen (Ido eingeschlossen) aufzubauen. Die Dokumente über P. Tarnow lassen darauf schließen, dass er selber aber nur Esperanto aktiv benutzt hat.

 

Soziale und Aktivitäten und Kontakte der UEA im Ersten Weltkrieg

Zu Beginn des 1. Weltkriegs hatte sich das Büro der UEA in der "Rue de la Bourse" (Börsenstraße) in Genf schnell geleert - drei Mitarbeiter folgten dem "Ruf des Vaterlandes". Überraschend kam die Organisation in die Lage, die Neutralität der Schweiz nutzen zu können: Sie ermöglichte die Kommunikation zwischen den ZivilistInnen und Soldaten der im Krieg stehenden Staaten über die Zwischenstation des neutralen Genf. Hans Jakob hielt zehn Bereiche fest, zu denen in den vier Jahren ein Austausch stattfand:
1) Weiterleitung normaler Korrespondenz von Zivilisten, 2) besondere Dienste, 3) Geldübermittlung, 4) Sendungen für Soldaten, 5) Sendungen für zivile Gefangene, 6) Rückkehr von ZivilistInnen nach Hause in Kriegsgebieten, 7) Kriegsgefangene und Beziehungen zu betreffenden Autoritäten, 8) Beziehungen zum "Roten Kreuz" in bestimmten Ländern, 9) Beziehungen zum "Internationalen Roten Kreuz" in Genf als Vertreter von Kriegsgefangenen, 10) übriges.

Jakob gab an, dass die UEA als "allererste Vereinigung" so verfahren sei. - Jeden Tag kamen hun-derte Sendungen in der Geschäftsstelle an, die weiterzuschicken waren. Ihr Engagement wurde auch über die Schar der Mitglieder hinaus wahrgenommen und war ein Faktor dabei, dass die Zahl der SprecherInnen stieg.

 

"Genfer Kontakte" der UEA

1921 erklärte das "Internationale Rote Kreuz" auf seinem "10. Internationalen Kongress", dass es Esperanto für sich nutzen wollte. In diesem Jahr zog auch der "Völkerbund" nach Genf. Vor allem von Kontakten zu dessen Zweig der  "Internationalen Arbeitsorganisation" versprach sich die "UEA" ein zusätzliches Arbeitsfeld und Unterstützung. War doch dessen Leiter, Albert Thomas, ein Esperanto-sprecher und offen für eine Zusammenarbeit.

In diesem Jahr hatte es kurz den Anschein, dass der "Völkerbund" auf Esperanto für seine Mitgliedstaaten setzen würde.

 

Diese Kontakte - ob erfolgreich oder nicht - waren auch deshalb einfach, weil die "UEA" zeitweise mit den beiden Institutionen im selben Gebäude ihren Sitz hatten und zu anderen Zeiten fußläufig davon entfernt lag. Es gab offensichtlich jeweils eine Schnittmenge an gleichen Ideen und Interessen.

Im Zusammenhang mit den Hilfeversuchen für Lydia Zamenhof liegt es nahe, dass die erstaunlich sicheren Aussagen im Rundbrief - sowohl über die verzweifelte Lage in Polen allgemein als auch die katastrophale für die mit rassistischer Begründung Verfolgten im Besonderen - durch die Kontakte mit dem "Internationalen Roten Kreuz" möglich waren.

 

Paul Tarnow auf Weltkongressen der UEA

Schon ein Jahr nachdem Paul Tarnow Esperanto gelernt hatte, stand er auf der Liste der Angemeldeten für den Weltkongress der UEA in Dresden 1908

 

Er war auch nachweislich 1912 auf dem Weltkongress in Krakau.

 

Gruppenfoto mit Zamenhof – 7. Person rechts von Tarnow

Im unruhigen Jahr 1923 war er mit seiner Frau Anna Tarnow, Hans Jakob sowie József Takácz und dessen Frau in Nürnberg für den Weltkongress der UEA angemeldet und vermutlich dann auch anwesend. Hans Jakob schildert in seinen Erinnerungen, dass die Kongressbesucher zum ersten Mal einen Aufzug von Hakenkreuzlern erlebten, die antijüdische Parolen riefen. Der Besuch des Weltkongresses 1927 in Danzig ist durch einen Lichtbildvortrag bestätigt, den er darüber in Düssel-dorf hielt.
 

Anzunehmen ist ein Zusammentreffen von Jakob und Tarnow 1933 auf dem Weltkongress der "UEA" in Köln, der schon unter der sich verfestigenden Diktatur stattfand.

 

Früchte der Entwicklung von Esperanto und von Paul Tarnows Bemühungen um deren Dokumentation

Paul Tarnows viele Beiträge zur "Enciklopedio de Esperanto", die 1934 erschien, kann man als Lei-stungsschau der Esperantobewegung, lesen. Sein 30-seitiger Hauptartikel über die Esperanto-Zeit-schriften bezieht sich zwar auch auf Länder. Doch die Kernthemen der "UEA": Fachzeitschriften, Berufe und gesellschaftliche Gruppen, wurde eigens gelistet und kommentiert. Er sammelte in sei-nem Archiv die Zeitschriften aus aller Welt und konnte so an prominenter Stelle mitreden.

 

Auch heute noch existiert die „UEA“, die seit 1954 offizielle Beziehungen  zur UNESCO unterhält. - Doch dieser Auszug aus ihrer Geschichte zielt nur auf diejenigen Ereignisse, Entwicklungen und Strukturen ab, die einzelne Handlungen und Verhaltensweisen von Paul Tarnow besser einzuordnen helfen.

 

2. Link: Hintergrundwissen zur Bemühung, die "Deutsche Esperanto-Gesellschaft" zu erhalten, und zum Umgang mit dem Verbot

 

Beziehungen Paul Tarnows zur "Deutschen Esperanto-Gesellschaft"

Paul Tarnow hatte von Beginn an – neben der Mitgliedschaft in der „UEA“ - auch enge Beziehungen zur "Deutschen Esperanto-Gesellschaft"; so wie allgemein die Dokumente zu seinem Lebenslauf über ihn den Eindruck vermitteln, dass er mehr das "sowohl - als auch" als das "entweder - oder" sein Lebensprinzip war. (Als zusätzliche Quellen zu den Erinnerungen von Hans Jakob wird hier auf die Sekundärliteratur „Esperanto – Die gefährliche Sprache“ von Ulrich Lins und auf die Gestapo-Akte von Wilhelm Ackermann aus Düsseldorf als Primärquelle Bezug genommen.)

 

Die Vernetzung in Deutschland bot die Möglichkeit, vor Ort Gleichgesinnten zu begegnen. So war Paul Tarnow zwar Leiter der Ausstellungsabteilung des „Deutschen Esperanto-Bundes“ (DEB) von 1910-1921, leitete aber z. B. auch 1932-1934 vor Ort die bürgerlich-neutrale Gruppe Düsseldorf-Oberkassel. Konnte er in der Weimarer Republik zeitweise wegen Dienstreisen nicht zu den Sitzun-gen kommen, so war er 1934 aufgrund der Verhaftung durch die Gestapo fünf Monate lang nicht in mehr in der Gruppe.  Als er etwa im April 1936 wieder rehabilitiert war und seine vorherige berufliche Stellung einnehmen konnte, dürfte er sich schon an dem Versuch beteiligt haben, ein Verbot der bür-gerlichen Esperantogruppen zu verhindern. Sein Kontakt zu dem damaligen Verbandsvorsitzenden, Kurt Walther, spricht dafür.

  

Haltung und Verhalten des "Deutsche Esperanto-Bund" gegenüber der Machtübergabe an die Nationalsozialisten

Die Organisationen der Arbeiter-EsperantistInnen waren bereits – zusammen mit der Zerschlagung der Gewerkschaftsbewegung zwischen dem 2. Mai und Ende Juni 1933 – verboten worden. (Die Gruppen der Arbeiteresperantisten hatten beträchtlich mehr Mitglieder als die der bürgerlichen Esperantisten!)

 

Nach dem Verbot der Organisationen sollte die Benutzung von Esperanto in mündlichem und schrift-lichem Gedankenaustausch mit fremdsprachigen Menschen (und Esperanto als solches) nicht untersagt sein. Dies wurde den Mitgliedern der „Deutschen Esperanto-Gesellschaft“ noch in einem Rundbrief vom letzten Verbandsvorsitzenden, Fritz Thieme, mitgeteilt.

 

Das Verbot der bürgerlichen Esperanto-Gruppen wurde nicht durch Angebote bzw. erste Bestrebungen im Esperanto-Bund verhindert, Juden auszuschließen bzw. durch die Bitte um Gleichschaltung. Diese Angebote bzw. Bestrebungen wurden gegen die Überzeugung vieler Mitglieder initiiert. Manche traten aus dem Bund als Protest dagegen aus. Die verzweifelte Lage –  noch durch eine nationalsozialistische Esperanto-Vereinigung Anfang der 1930er Jahre verstärkt – dürfte diese absurden Angebote als "letzten Strohhalm" vorgegaukelt haben. Doch das Verbot konnte auch durch das Angebot, die eigenen Ideale preiszugeben, nicht verhindert werden.:

 

Mitte August 1936 teilte Paul Tarnow einem Gleichgesinnten in Katwijk (Niederlande) mit, dass auch die letzte Bemühung vergeblich war. Er schickte die Broschüre „Warum Esperanto? Warum Deut-scher Esperanto-Bund?“ mit. Die Broschüre war eine Mischung aus der Anpreisung von Esperanto für ein „völkisches“ Deutschland, aus dem Zugeständnis, keine Jüdinnen und Juden im Bund wegen des neuen Regimes zu dulden, und aus der Unterdrückung der Tatsache, dass der Entwickler der Sprache, Ludwik Lazarus Zamenhof, ohne Diskriminierung verehrt wurde.

 

Der Plan derer, die die Existenz des Esperantobundes auf jeden Fall erhalten wollten, könnte darin bestanden haben, dadurch noch Freiräume schaffen zu können, die einerseits hintenherum einem Internationalismus eine Plattform hätten bieten und andererseits, die Diskriminierungen (mit Rückgriff auf solch eine Haltung zur Internationalität) hätten unterlaufen können. Solch ein Plan konnte unter den Kommunikationsbedingungen des Nationalsozialismus den Mitgliedern nicht vermittelt werden und war aber auch leicht durchschaubar. – So wurden diese Möglichkeiten, ob so von den Aktiven des DEB angestrebt oder nicht, von Himmler, Bormann, Heydrichs und Hitler als Gefahr für ihr Bild von der zukünftigen Welt gesehen und deshalb gar nicht eingeräumt.

 

Das Verbot der bürgerlichen Esperanto-Vereinigungen und ihrer ausländischen Kontakte traf diese in einer Zeit einer noch zunehmenden Diffamierung durch die gleichgeschaltete Presse, ihrer Spaltung von den Arbeiter-EsperantistInnen und ihrer internen Schwächung durch Diskussionen um den richtigen Umgang mit dem Nationalsozialismus.

 

Ddaran änderte nichts, dass ein gutes halbes Jahr vor dem Vereinsverbot Paul Tarnow ofiziell erlaubt wurde, sein Weltsprachenarchiv weiter zu betreiben und auszubauen. Das Zögern der Diktatur über so einen langen Zeitraum von 1933 bis 1936 konnte als Innehalten vor der Frage verstanden werden, wie die zukünftige Kommunikation des nationalsozialistischen deutschen Staats mit anderen Völkern geschehen sollte. Das war ein Irrtum, wenn man sich das Ergebnis anguckt: Das Abwarten seitens des Regimes erwies sich nach heutigem Wissensstand durch Archivdokumente als taktische Vorsicht gegenüber dem Ausland. (1936 fanden die olympischen Spiele in Berlin statt.) Schon damals konnte man sich aber im Anbetracht der Äußerungen des Regimes und seines Vorgehens denken, dass es nur um kalte Erwägungen ging und nicht um ein Überzeugen von dem Sinn einer internationalen Sprache.

 

Hinzuzufügen ist, dass die Hoffnungen auf eine andere Entwicklung in Deutschland auch bei anderen Gegnern des Nationalsozialismus verbreitet waren.

 

Versuche der UEA und des "Deutschen Esperantobundes", von der strikten Neutralität abzurücken

Nach dem Verbot trafen sich EsperantistInnen aus dem Arbeitermilieu und bürgerlichen Kreisen konspirativ und bezogen weiter Zeitschriften aus dem Ausland, um ihre Kenntnisse in der Sprache weiter zu pflegen. Bei Arbeitern kam teils hinzu, dass sie Treffen für politische Diskussionen nutzten und Aktivitäten planten.  Es gab Verhaftungen, Inhaftierungen in Gefängnissen und Konzentrations-lagern, Schädigungen von Leib und Leben. Im Laufe der Jahre war alter Zwietracht zwischen den Rich-tungen der Esperanto-Sprechern nicht mehr von solchem Gewicht, dass nicht gemeinsames Handeln möglich gewesen wäre.

 

Auf dem Weltkongress der UEA zum 50-jährigen Bestehen von Esperanto 1937 in Warschau, notier-ten Besucher, die zum Spektrum der Arbeiteresperantisten gehörten, erstaunt, dass die Eröffnungs-feier zu „einem Manifest für Liberalismus, Humanitarismus, Demokratie“ wurde. Erst im November 1938 schrieb Hans Jakob angesichts der Teilannexion der Tschechoslowakei eine Distanzierung vom Neutralitätsprinzip: „For la iluzio!“ („Weg mit der Illusion!“). Das war für die „UEA“ geschrieben, wurde aber sicher auch von den bürgerlich orientierten, nach Nationen organisierten Esperanto-Vereinigun-gen, wie dem „Deutschen Esperanto-Bund“, geteilt.

 

Rückschlüsse auf Paul Tarnows Haltung (und Verhalten)

Wie Paul Tarnow zu den Diskussionen um die Haltung zur Neutralität gestanden hat, wird aus dem Folgenden sichtbar:

 

Für diese Einschützung spielt sein Kontakt zu dem Arbeiter (Klempner) Wilhelm Ackermann, der im bürgerlichen Esperanto-Verein und nicht in einem ArbeiterInnen-Esperantoverein eine Funktion ausfüllte, eine wichtige Rolle. In dessen Gestapo-Akte ging es um einen Verstoß gegen das Organisationsverbot. W. Ackermann hatte, wie er aussagte, nicht nur die Esperanto-Weltkongresse in Köln (1933), in Stockholm (1934) und in Rom (1935) in der Zeit, als dies noch nicht verboten war, besucht. Auch zu Zeiten des Kongresses in Warschau 1937 - nach dem Verbot - besuchte er nach seinen Angaben einen Warschauer Freund im Gegenbesuch, nahm dabei nur an zwei Kongressfeierlichkeiten teil und machte einen vom Kongress organisierten Ausflug mit. An Sitzungen und Konferenzen habe er nicht teilgenommen. Er räumte in Verhören nur ein, dass er durch die Sendung einer Postkarte aus Warschau mit einer Esperanto-Klebemarke an einen Arbeitskollegen in Neuss, gegen sein schriftliches Versprechen gegenüber der Gestapo nach der Verkündung des Verbots verstoßen habe. Er bestritt aber, dass illegale Zusammenkünfte in seiner Wohnung statt-gefunden hätten. Er sagte zum Schluss aus, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass er sich durch seine Esperanto-Tätigkeit, die er bis in jüngster Zeit ausgeübt hätte, strafbar gemacht habe.

 

Er und seine zwei Arbeitskollegen, die sich aus Esperantobezügen noch in der Weimarer Republik kannten, wurden verhört, mussten Leibesvisitationen über sich ergehen lassen und ihre Spinde auf der Arbeitsstelle und ihre Wohnungen wurden durchsucht. Eine Karte mit Porträts kommunistischer Führer in einem Spind wurden Wilhelm Ackermann zugeordnet.

 

Bei W. Ackermann wurden Schreiben gefunden, die einen Bericht über den Weltkongress in War-schau verfügbar machten sollten. Der Bericht war für die Verbreitung im Hannoveraner Raum und

im Rheinland bestimmt.

 

 Die Gestapo wertete W. Ackermann als Kommunisten und fanatischen Esperantisten. (Die Einord-nung als Kommunisten beruhte nur auf der Karte mit den Porträts, die in einem Spind lag, der allgemein zugänglich war. Doch boten sowohl seine mündlichen und schriftlichen Äußerungen, die die Gestapo anführte, als auch die Eindrücke einer Bekannten, die ihn einige Jahre nach dem Krieg in der "Düsseldorfer Esperanto-Gesellschaft" kennengelernt hatte, keinen Anhaltspunkt für diese Festlegung.) Für die Bewertung der Haltung von Paul Tarnow ist wichtig, dass er in einem der o.g. Schreiben auch genannt wird. W. Ackermann hatte der Gestapo mitgeteilt, das P. Tarnow ihn bzgl. einer Brandenburger Adresse nur auf eine in einem alten UEA-Jahrbuch von 1929 verweisen konnte.

 

Auch später, 1939, wurde Paul Tarnow in einem Zusammenhang mit dem sehr verdächtigten Wilhelm Ackermann erwähnt. Er hatte Letzteren als Vertreter für die Bestellung und den Erhalt einer Publika-tion für das Weltsprachenarchiv eingesetzt. Das wurde der Gestapo durch die "Postkontrolle" der zu-geschickten Publikation bekannt. Die Verhöre von beiden hatten zwar keine direkten Folgen. Doch sicher bestand danach auch gegenüber Paul Tarnow ein verstärktes Misstrauen.

 

HInweise auf Auflösung von Widerständigkeit und Erhalt von Resten alter Strukturen in Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen mit EsperantistInnen

Nach Kriegsbeginn führten zwei Vorfälle dazu, dass Wilhelm Ackermann wegen herablassender Äu-ßerungen über den Krieg vor allem auf seiner Arbeitsstelle Anfang 1940 für zwei Monate in Gestapo-haft kam. Er wurde entlassen mit der Drohung, dass er im Wiederholungsfall in ein Konzentrations-lager gebracht würde.

 

Kaum vorstellbar, dass Wilhelm Ackermann Paul Tarnow nicht von der neuen Stimmung auf dem Weltkongress 1937 erzählt hat. Der Verweis auf die politische Neutralität von Esperanto wurde von W. Ackermann bei der Gestapo zu seiner Verteidigung vorgebracht.

 

Als Paul Tarnow im April 1940 auf die Neutralität berief, tat er dies weniger zu seiner Verteidigung, sondern stellte eine Verständigung zwischen Menschen verschiedener Völker grundsätzlich unverzichtbar dar. („Wenn ich mich nochmals an Sie wende, so tue ich das aus dem inneren Drang heraus, diese meine Arbeit, welche ich nun schon seit über 34 Jahren mit größten Opfern an Zeit

und Geld unter Erduldung von Verachtung und Beschimpfung und selbst Schutzhaft, aus rein ide-alen Gründen, selbstlos und ohne politische, religiöse und drgl. Note, nicht abbrechen zu müssen,

da das zugleich auch das völlige Aufgeben dieser Arbeit bedeuten würde. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es keinen zweiten Deutschen gibt, welcher solch umfangreiche persönliche Freund-schaftsbeziehungen in die meisten Länder besitzt wie ich und dass doch darauf gesehen werden müsste, solche Beziehungen aufrechtzuerhalten.“)

 

An diesem Punkt, wo nur noch ein Bekennertum, ein Appell, möglich scheint, verliert die auf eine ver-botene Organisation bezogene, gezielte Konspiration ihren Sinn. Es verblieb unter EsperantistInnen anscheinend durch gegenseitige Besuche und  über Briefverkehr zusammenzuhalten: von Paul Tar-now mit Norbert Barthelmess und anderen. Die Kontakte nannte er handschriftlich am Ende eines Briefes an Hans Jakob am 01.05.1945. Auch mit Wilhelm Ackermann traf er sich – nimmt man den Abstand zwischen zwei Besuchen Ende 1944 als Maßstab – ab und zu: Dieser erinnert sich an einen Besuch bei Tarnows im Oktober oder November und Ende Dezember (als Paul Tarnow nicht mehr lebte).

 

Evakuierung des Archivs als potentielle Gefahr

Für den Erhalt seines Archivs setzte Paul Tarnow sich aber auch noch 1943 und 1944 konspirativ ein: Der Verantwortliche für die Evakuierung von Archiven, Wilhelm Kisky, handelte zwar im Auftrag des nationalsozialistischen Staats handelte, stand aber diesem politischen System distanziert gegenüber. 1949 schrieb er einen Vermerk zu seinen Kontakten mit Paul Tarnow und stellte fest:

„ …, dass die Weltsprachenbewegung von der Naziregierung verboten war, alle Menschen die damit zu tun hatten, verdächtig waren, und das Material ständig in Gefahr war, beschlagnahmt zu werden. Meine Besprechungen mit Herrn Tarnow fanden auch immer bei verschlossenen Türen statt und ohne, dass ein Aussenstehender etwas davon erfuhr.“

 

Wilhelm Kisky (1881-1953), Historiker, lange Zeit bei der Archivberatungsstelle der Provinzialverwaltung

 

 

Die Auswertung der hier entwickelten Grundlage ist im nächsthöheren Menüpunkt unter der gleichnamigen Überschrift "Deutlichere und erweiterte Begründung" zu finden.